Donnerstag, 19. Oktober 2023

Blutrache ist nichts dagegen


 

Das Thema „Israel und Palästina“ mußte ich während meiner Maatenausbildung bei der Bundesmarine in der Ausbildungsschule in Plön bearbeiten und in einem Referat vortragen. Das war im 1. Quartal des Jahres 1970, also vor 53 Jahren. Die Aussichten auf eine friedliche Lösung dieses blutigen Konflikts haben sich seitdem nicht verbessert, sondern sind derzeit gleich null. Als erstes lernte ich bei der Vorbereitung dieses Referates damals, daß es keinen Sinn macht, die tausende Jahre alte Geschichte dieses zur Levante gehörenden Gebietes als Lösungsbasis für einen anzustrebenden Frieden zu nehmen; denn dafür gilt ein Spruch aus Friedrich Schillers Gedicht „Die Kraniche des Ibykus“: „Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen“. Aus der Geschichte kann keines dieser Völker einen Anspruch auf dieses Land ableiten.

Wer das gegenwärtige Verhalten der israelischen Politik beurteilen will, sollte sich als erstes ansehen, wie sich „archaische“ Völker verhalten hätten, bei denen die Blutrache gilt: „Die Blutrache ist ein wesentliches Element vieler archaischer Gewohnheitsrechts-Ordnungen auf der ganzen Welt. Theoretisch gilt hierbei das Talionsprinzip: Es weist das Opfer oder seine Vertreter an, dem Täter „Gleiches mit Gleichem“ zu vergelten beziehungsweise dessen Vergehen zu sühnen („Wie du mir, so ich dir“). Der Ehrenkodex der Blutrache verlangt aber auch, nicht „ein Mehr“ heimzuzahlen“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Blutrache). Für die wäre der Konflikt also bereits beendet; denn den 1400 Israelis, die durch die Hamas wirklich bestialisch ermordet wurden, stehen inzwischen mehr als 3000 durch Israels Armee aktuell ermordete Palästinenser gegenüber, darunter etwa 700 Kinder. Von 2007 bis 2022 wurden im Gazastreifen über 5000 Palästinenser von Israels Armee ermordet. Die „Archaischen“ würden jetzt verhandeln, wie es weitergehen soll. Die "Zivilisierten" dagegen bombardieren Krankenhäuser und Schulen im Gazastreifen. Sie praktizieren Völkermord und haben mit dem Gazastreifen ein neues Leningrad geschaffen, weil es gegen „Die Anderen“, in diesem Fall die Palästinenser geht. Das gilt nicht nur für die israelische Terrorbande, sondern auch für die Bevölkerungsmehrheit des sogenannten „Wertewestens“, der in Wirklichkeit längst zu einem Terrorwesten geworden ist und vor allem für dessen Medien, die mit dem „richtigen“ Moralgekeife Profit machen. "Barbarisch" können nur "Zivilisierte" sein. Das steht seit Auschwitz fest.

75 Jahre Vertreibung, Krieg, Besatzungs- und Apartheidsregime

Eigentlich sollte das ehemalige britischen Mandatsgebiet Palästina gemäß eines UN-Teilungsplanes in einen jüdischen und einen palästinensischen Staat aufgeteilt werden. Doch im ersten israelisch-arabischen Krieg eroberte Israel 1948 etwa 77 % des Territoriums, das für die Etablierung eines palästinensischen Staates vorgesehen war und gab es nie mehr her. Die dort lebenden etwa 700.000 Palästinenser wurden vorzugsweise in die Nachbarländer vertrieben, die etwa 400 Dörfer wurden zerstört. Noch heute leben die Vertriebenen und ihre Nachkommen in Flüchtlingslagern außerhalb Israels. Die von der UN mit der Resolution 194 geforderte Rückkehrmöglichkeit verweigert Israel bis heute.

Diese Nakba genannte Vertreibung dauert bis heute an. Ende 2022 waren mit 5,9 Millionen rund 40 Prozent der Palästinenser*innen weltweit bei der UNRWA als Flüchtlinge registriert. Besonders unter der Herrschaft rechtsradikaler Regierungen mit Netanjahu als Regierungschef wurde die Etablierung jüdischer Siedlungen im Westjordanland verstärkt betrieben. Das palästinensische Autonomiegebiet ist inzwischen so stark von jüdischen Siedlungen zerteilt worden, daß von einem regierbaren Verwaltungsgebiet nicht mehr gesprochen werden kann. Die Strassen zwischen diesen Siedlungen dürfen nur jüdische Siedler benutzen. In letzter Zeit häufen sich Pogrome gegen Palästinenser durch jüdische Siedler, es wurden allein in 2023 über 200 Palästinenser durch sie ermordet. Die israelische Armee, die das Gebiet als Besatzungsmacht kontrolliert, schaut zu, klatscht höchstens noch Beifall und zerstört Wohnhäuser ermordeter Palästinenser.

Es ist vollkommen klar, daß jüdische Regierungen nie vorhatten, das speziell vom Westen angepriesene Zwei-Staaten-Modell zu verwirklichen, es war immer die Wahrheit verbergende Propaganda. Sie wollen seit 75 Jahren das ganze Westjordanland und den Gazastreifen Israel zuschlagen. In Israel selbst lebende Palästinenser haben zum Teil die israelische Staatsbürgerschaft, sind aber trotzdem keine vollwertigen Staatsbürger, weil „das Recht auf nationale Selbstbestimmung“ nur jüdisch gläubigen Staatsbürgern zusteht. Andere sind staatenlos und damit rechtlos. Jedenfalls sind Palästinenser in Israel Bürger zweiter Klasse. Ohne diese religiös motivierte Apartheid, also in einem säkularen demokratischen Rechtsstaat, hätten die nichtjüdischen Bewohner bereits heute die Mehrheit. Mit einem jüdischen Gottesstaat, auf dem die israelische Politik und Mehrheitsbevölkerung beharrt, wäre also auch eine säkulare demokratische Ein-Staat-Lösung nicht machbar. Unter diesen Bedingungen ist die heutige Situation in Israel respektive Palästina nicht friedlich lösbar.     

Israel und das US-Imperium

Diese unlösbare Situation in Israel und Palästina ist auch durch das Verhalten der USA gegenüber Israel entstanden; denn ohne die USA hätte Israel nicht 75 Jahre  lang die Politik der Apartheid, Besatzung, Vertreibung und des Krieges betreiben können, die auch den gegenwärtigen Konflikt erzeugt hat. Wie sich die Beziehungen Israels mit den USA nach dem 2.Weltkrieg entwickelten, schildert ausführlich und kompetent dieser Bericht: <https://rosalux.org.il/artikel/die-beziehungen-zwischen-den-usa-und-israel-wedelt-der-schwanz-mit-dem-hund/>. Er macht auch die geopolitischen Machtmotive des US-Imperiums deutlich:

Israel gilt als strategischer Verbündeter und nützlicher Bündnispartner im Kalten Krieg, später im Krieg gegen den Terror und für die Verteidigung der Interessen der USA in Konkurrenz zur Sowjetunion, heute zu Russland.

Die US-amerikanische Kultur, der american way of life, ist in Israel allgegenwärtig, es ist ein Teil der amerikanischen Kultur. Das gilt auch für das Sendungsbewußtsein als quasi von Gott auserwählte Länder, die einen Kampf gegen andere „böse“ Kulturen wie den Kommunismus führen. Der militärisch-industrielle Komplex der USA beeinflußt stark die Entscheidungen der USA für Waffenlieferungen an Israel; denn das ist ja großartig fürs Geschäft.

Die bedeutendste Israel-Lobbygruppe in den USA ist AIPAC (American Israel Public Affairs Committee). Sie hat einen riesigen Einfluß auf die Entscheidungen des Kongresses in israelitischen Angelegenheiten und damit natürlich auf die der US-Regierung respektive des Präsidenten.

Für die USA bietet Israel ein Modell für sicherheitsbürokratische Kontrolle: „Neben ausgeklügelter Waffenproduktion und israelischen Militär-„Trainer*innen“ hat Israel in den langen Jahren des Konflikts mit den Palästinenser*innen ein effektives Modell der Aufstandsbekämpfung und Versicherheitlichung („securitization“) entwickelt, den Kern der heutigen Kriegsführung. Insbesondere seit dem 11. September hat die weitreichende Erfahrung Israels mit dem palästinensischen „Terror“ zum Export von Waffen und Kontrolltaktiken geführt. Israel „beliefert“ Länder wie die USA, die dringenden Bedarf an den nötigen Tools für die Umsetzung ihrer eigenen Kriegsführung niederer Intensität, Aufstandsbekämpfung und langfristigen Befriedung haben.“ (aus oben angeführtem link).

Die gegenwärtige Situation

Das Palästinathema war seit längerer Zeit aus dem geopolitischen Fokus verschwunden. Zwischen Saudi-Arabien und anderen arabischen Staaten einerseits und Israel andererseits bahnte sich seit 2020 eine Normalisierung auch der diplomatischen Beziehungen an, was vom US-Imperium stark gefördert wurde; denn es ging dabei auch um den Aufbau neuer Handelsrouten von Asien nach Europa in Konkurrenz zum chinesischen Seidenstraßenprojekt. Palästina wäre bei einem Gelingen dieser Projekte wohl ganz und gar ins geopolitische Abseits geraten, Israel hätte sich das Westjordanland und den Gazastreifen endgültig ohne großes weltpolitisches Aufsehen gewalttätig einverleiben und die Hamas, die ursprünglich sowieso eine Schöpfung Netanjahus war, vernichten können. Mit ihrem entsetzlich brutalen Überfall auf Israel setzte die Hamas ein Fanal, das diese Entwicklungen mit einem Schlag mindestens vorläufig blockierte. Palästina verdrängte die Ukraine aus dem Mittelpunkt des geopolitischen Geschehens und machte es notwendig, über eine irgendwie geartete Lösung des Palästinaproblems nachzudenken. Was dabei herauskommt, ist nicht abzusehen. Der atomare Weltbrand ist näher denn je.

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