Am Ende des Ersten Weltkriegs erlebte die zertrümmerte
kapitalistische Industriewelt Europas die russische Oktoberrevolution und die
deutsche Novemberrevolution. Daß es dazu kommen konnte, war sicher auch der
„Erschöpfung beider Parteien“ geschuldet. Damals war es die kriegerische Konfrontation
der angelsächsisch-französischen Hegemoniemächte und Russland auf der einen,
der mitteleuropäischen Mächte Deutschland-Österreich mit weiteren Verbündeten
auf der anderen Seite, die zu dieser gegenseitigen Erschöpfung führte und die
USA zur alleinigen Weltmacht machte. Im NZZ-Interview (https://www.nzz.ch/feuilleton/henry-kissinger-ueber-die-usa-china-und-die-zukunft-der-welt-ld.1625753) spricht sich Kissinger für eine Politik des Interessenausgleichs zwischen
den heutigen Blockmächten, dem Westen im weitesten Sinn auf der einen, China,
Rußland und andere Verbündete auf der anderen Seite aus. Das ist aus
geopolitischer Großmachtsicht logisch, wenn man als Alternative nur die
„Erschöpfung beider Parteien“ fürchtet. Auch aus existenzieller Sicht der
Völker in beiden Blocklagern ist es zumindest auf den ersten Blick besser, wenn
die kriegerische Konfrontation vermieden wird. Kissinger macht aber am Beispiel
Irak auch klar, daß andere Politiker in jüngster Vergangenheit seinem Rat nicht
gefolgt sind. Und alles, was man in letzter Zeit von amerikanischen Politikern
und besonders von amerikanischen Militärs gehört hat, deutet daraufhin, daß sie
glauben, auch einen heissen Krieg gegen China-Russland gewinnen zu können. Die
deutschen US-Vasallen und politisch-medialen Blindgänger machen eifrig mit. Die
Frage ist also, ob der dritte Weltkrieg überhaupt noch vermieden werden kann
und wie; denn er hat eigentlich schon begonnen, ist bloß noch nicht „heiss“
geworden. Es geht ja diesmal noch dringender als im 20.Jahrhundert um die
Verteilung der restlichen Ressourcen, die auf dem Raumschiff Erde aus Sicht der
industrialisierten Welt immer knapper werden.
Wie aber verhält man sich in diesem noch nicht heißen
Krieg, wenn man der industrialisierten Welt entweder nicht angehört oder sie
beenden will, weil die industrielle Massenfertigung eh nicht mit den
ökologischen Gegebenheiten dieses Planeten kompatibel ist. Die es sowieso nur
gibt, weil der Kapitalismus die damit mögliche Massenproduktion brauchte, um
seinen Wachstumszwang bedienen zu können. Es ist aus dieser Sicht ja sogar
wünschenswert, wenn die Industriezivilisation endlich untergeht. Eine „Erschöpfung
beider Parteien“ nach der wiederholten Zertrümmerung der Industriewelt entweder
durch einen dritten Weltkrieg oder durch die ökologische Weltkrise würde die
Überwindung von Kapitalismus, Industrialismus und des seit 6000 oder gar 10.000
Jahren bestehenden hierarchischen Herrschaftssystems wahrscheinlich erst
möglich machen; denn eine antikapitalistische Revolution ohne vorherigen
zivilisatorischen Zusammenbruch wird es nicht geben. Andererseits ist die
Gefahr, daß sich die Menschheit ganz und gar ausrottet, umso höher, je
ungezügelter die kapitalistischen Machtzirkel und ihre politischen Marionetten
ihre Agenden vorantreiben können. Man muß kein böser Mensch sein, wenn man
nicht an den Altruismus des Kapitalismus glaubt, den Klaus Schwab, Leiter und
Gründer des Weltwirtschaftsforums, in seinem Buch „The Great Reset“ verbreitet.
Das ist eher was zum Spotten und Lachen. Wie agiert man also zwischen diesen
beiden Polen? Was kommt eher, der Zusammenbruch der Industriewelt durch die
außer Kontrolle geratene ökologische Weltkrise oder durch den heißen Weltkrieg?
Der Weg über Reformen, also der „Marsch durch die
Institutionen“, hat sich als illusorisch erwiesen. Dies ist für mich nach dem
Coronajahr eine alternativlose Tatsachenfeststellung. Es gibt keine
antikapitalistischen Parteien mehr, die in der Elitendemokratie noch eine
machtpolitische Rolle spielen. Die gesellschaftliche „Linke“ hat sich mit ihrem
kritiklosen Anschluss an die staatliche Coronastrategie der Merkelschen
Coronadiktatur bei Selbstdenkern bis auf die Knochen blamiert und sich selbst
aus dem machtpolitischen Spiel gekegelt. Der kapitalistische Staat wird immer
autokratischer und zieht die Schlinge um den Hals der Meinungsfreiheit immer
enger. Die Propagandainstrumente Framing und Nudging erweisen sich als äußerst
wirkungsvoll. Speziell das Framing funktioniert genauso gut wie der reale Zaun
ums Freigehege im Zoo, der die Affen vom Sprung in die Freiheit abhält. Der
homo industrialis wird immer konformistischer bzw. normopathischer (https://de.wikipedia.org/wiki/Normopathie) gegenüber der bestehenden Gesellschaft und damit zwangsläufig deren
Autoritäten, behaupten Sozialwissenschaftler. Verstärkt wird dieser Trend durch
den Überwachungskapitalismus, dessen Zeitalter vor etwa 15 Jahren begonnen hat
(siehe Shoshana Zuboff, „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“) und nicht
nur von den Big Five vorangetrieben wird. Sein Ziel sind nicht nur Überwachung
und Kontrolle, sondern die Verhaltensmodifikation des homo industrialis. Er
soll berechenbar werden wie ein Roboter. Und der „Great Reset“ des
Weltwirtschaftsforums (nach Sicht des politisch-medialen Mainstreams
anscheinend Weltzentrale der Verschwörungstheoretiker) zieht nicht zuletzt in
die gleiche Richtung. Niemand auf diesem Planeten ist noch imstande, die
hyperkomplex gewordene Weltgesellschaft zu durchschauen. Jeder Versuch, dem
nichtlinearen Geschehen mit logischem Denken beizukommen, muß scheitern, weil
nichtlineares Geschehen per se unlogisch ist. Der neue gordische WeltKnoten ist
unendlich größer und verschlungener als der, den angeblich Alexander der Große
mit seinem Schwert durchschlagen hat. Wer schlägt ihn diesmal durch und wie?
So ist denn die Szenerie bereitet für den klugen, weil
geduldigen Revolutionär. Auch Lenin hat lange Jahre auf seine Chance warten
müssen im Exil. Seine unendliche Geduld wurde belohnt, denn er war bis heute
einer der wenigen erfolgreichen Revolutionäre der Geschichte. Daß die dann in
der folgenden Zeit in einem blutigen Desaster endete, ist eine andere Geschichte.
Ich gebe zu, das alles klingt etwas zynisch angesichts dessen, daß es heute Kriegswaffen
gibt, die leicht die ganze Menschheit vernichten können. Oder angesichts der
ökologischen und sozialen Verheerungen durch eine nicht mehr kontrollierbare
ökologische Weltkrise. Aber gibt es einen anderen wirklich erfolgversprechenden
Weg? Die Biosphäre wird sowohl einen globalen Atomkrieg als auch eine außer
Rand und Band geratene ökologische Weltkrise überstehen und sich erholen in den
darauf folgenden Tausenden oder Millionen Jahren. Also laßt uns optimistisch
bleiben.