Dienstag, 12. September 2023

Ideologie

 


"Die Ideologie als Machtinterpretation der Wirklichkeit ist letzten Endes immer den Machtinteressen untergeordnet; deshalb hat sie in ihrem Wesen die Tendenz, sich von der Wirklichkeit zu emanzipieren, eine Welt des «Scheins» zu schaffen, sich zu ritualisieren. Dort, wo es einen öffentlichen Wettbewerb um die Macht, also auch eine öffentliche Kontrolle der Macht gibt, gibt es selbstverständlich auch die öffentliche Kontrolle dessen, womit sich die Macht ideologisch legitimiert. In solchen Verhältnissen wirken immer bestimmte Korrektive, die die Ideologie daran hindern, sich vollständig von der Wirklichkeit zu emanzipieren. In den Verhältnissen der Totalität verschwinden aber diese Korrektive, nichts hindert also die Ideologie daran, sich immer mehr von der Wirklichkeit zu entfernen und sich allmählich in das zu verwandeln, was sie in einem posttotalitären System ist; in eine Welt des «Scheins», in ein bloßes Ritual, in eine formalisierte Sprache, die sich von dem semantischen Kontakt mit der Wirklichkeit löst und in ein System ritueller Zeichen verwandelt, die die Wirklichkeit durch eine Pseudowirklichkeit ersetzen." (Vaclav Havel: Versuch, in der Wahrheit zu leben, Seite 31).

Diese Definition von Ideologie gilt für keine so sehr wie für die des Neoliberalismus. Er wird als Ideologie des Marktes verkauft und hat es seit den 1970er Jahren geschafft, in alle gesellschaftlichen Lebensbereiche einzudringen. Die neoliberalen Gesellschaften des westlichen Imperiums sind darob totalitär geworden. Den Begriff „Markt“ muß man allerdings mit „Konkurrenz“ übersetzen; denn alles und jeden in die Konkurrenz zueinander zu zwingen, war das eigentliche Ziel dieser Ideologie. In der Arbeitswelt wurde den Beschäftigen die Solidarität ausgetrieben, sie sollen sich als Konkurrenten um den gleichen Arbeitsplatz und um individuelle Bezahlung verstehen, solidarische Gewerkschaften gelten als out. Konkurrenz soll auch das menschliche Verhalten in allen Lebensbereichen wie Schule, Universität, Privatheit („mein Haus, mein Boot, mein Auto“), öffentlichen Verwaltungen und Sport bestimmen. Nicht wer teilt, gilt als vorbildhaft, sondern wer andere übervorteilt, also Soziopathen. Freiheit wird immer als Schutz des Eigentümers von Produktionsmitteln vor staatlichen Eingriffen verstanden – es sei denn, es geht darum, subventioniert zu werden. Das Herrschaftsprinzip dahinter ist „Teile und herrsche“. Man hat der Gesellschaft die Solidarität ausgetrieben, den Sozialstaat demontiert und den Einzelnen konditioniert, das eigene Überleben auf Kosten der Anderen zu organisieren. Sichtbar wird diese Diversifikation heute in völlig überdrehten Konzepten wie Genderismus und Cancel Culture, die beide dazu da sind, die Gesellschaften weiter zu atomisieren und die Menschen wegen angeblicher, meist unbedeutender „Verfehlungen“ aufeinander zu hetzen. Das alles geschah und geschieht, um die Herrschaft der Machthabenden in Wirtschaft und Politik aufrechterhalten zu können.

Im Kernbereich dieser Ideologie, der privaten Wirtschaft, wird allerdings mehr und mehr deutlich, wie sehr sie der Wirklichkeit widerspricht. Seit langem sind die westlichen Volkswirtschaften nur deshalb noch lebensfähig, weil die staatlichen Zentralbanken Geld ohne Ende hineinpumpen („Easy Money“). Waffen werden heute nicht mehr produziert und an Staaten verkauft, damit die Krieg führen können. Es ist umgekehrt, Kriege werden geführt, um alte Waffen vernichten und neue produzieren und verkaufen zu können. Die Corona-Fake-Pandemie war ein politisch organisiertes Programm zur Erzielung gigantischer Profite im Billionenbereich der Pharmakonzerne. Die fossilen Stromproduzenten werden mit Milliardensubventionen und staatlichen Gesetzen gegen die billigere Produktion mithilfe erneuerbarer Energien unterstützt. Dienstwagen kann die Autoindustrie nur wegen der damit verbundenen Subventionen verkaufen. Die USA haben ein Billionen US-Dollar schweres Subventionsprogramm aufgelegt, um die eigene industrielle Basis zu stärken, auf Kosten ihrer europäischen „Freunde“. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Klar ist aber auch so, daß die westlichen neoliberalen Volkswirtschaften immer schon staatsmonopolistische Gebilde waren, die Staaten also „marktkonforme Demokratien“, wie es die ehemalige Stasi-Kanzlerin Angela Merkel formulierte.

Wenn die Gesellschaften trotzdem an dieser totalitären Ideologie festhalten, liegt es daran, daß sie sich in „ein System ritueller Zeichen verwandelt [haben], die die Wirklichkeit durch eine Pseudowirklichkeit ersetzen“ (siehe oben, Vaclav Havel). Es liegt an der ständigen Propaganda für diese Ideologie, die von Politik, Wirtschaft, neoliberaler Wissenschaft und den Mainstreammedien den Menschen täglich eingehämmert wird. Wahrscheinlich bedarf es eines sehr großen zivilisatorischen Schocks, damit sich die Menschen wieder von dieser totalitären Ideologie abwenden. Aber vielleicht geht das neoliberale Abendland auch einfach unter, ohne daß jemand aufwacht. Die gegen Ende des 15.Jahrhunderts untergegangene Zivilisation der Osterinsel ist dafür ein anschauliches Beispiel (Siehe „Kollaps“ von Jared Diamond und andere Berichte darüber).

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