Dienstag, 15. August 2023

Wie aus der Ferne längst vergang’ner Zeiten..


  

So beginnt die wunderschöne Arie, die als „Erzählung des Holländers“ in Wagners Oper „Der fliegende Holländer“ berühmt geworden ist. Es geht weiter mit “spricht dieses Mädchens Bild zu mir“. Denke ich an die wahrscheinliche Parteigründung durch Sahra Wagenknecht und ihre Entourage, formuliere ich um: „spricht dieser Gründung Bild zu mir“. Das liegt an der allseits bekannten politischen Position Sahra Wagenknechts selbst; denn die kommt dem Weltbild der urwüchsigen Sozialdemokratie sehr nahe. Daß ein so großer Teil der Bevölkerung das, in der Person Sahra Wagenknechts, gut findet, zeigt die noch immer ungebrochene Strahlkraft dieser längst untergegangen Sozialdemokratie.

Sie bleibt mit all ihrer Kritik in der althergebrachten Bipolarität Kapitalismus – Sozialismus stecken, auch wenn sie von letzterem eine modernere Auffassung repräsentiert. David Goeßmann hat in einem längeren Artikel auf telepolis gefragt, was unterm Strich von Wagenknechts alternativem ökonomischen und gesellschaftlichen Programm bleibt: Sie will wie Jean-Luc Melanchon in Frankreich, aber auch Jeremy Corbyn und Bernie Sanders in den USA und Großbritannien den Staat und die Gesellschaft gegen den Markt stärken und weitreichendere Eingriffe in die kapitalistische Ökonomie ermöglichen.

Sie befördert mit ihrer Kritik am neoliberal globalisierten Kapitalismus zugleich den Appetit auf eine andere, bessere Welt. Ihr Lob des freien Unternehmertums, eines Top-Down-Managements, der von Konkurrenz angetriebenen Leistungsgesellschaft, des Sicherheitsstaates, nationaler Autarkie, die Entsorgung von globaler Verantwortung sowie ihre Neigung zu populistischen Rhetoriken, um Arbeiter:innen und Kleinbürger:innen zu mobilisieren, sind aber kaum angetan, diesem Hunger jenseits von Reformzielen das geistige Mahl zu bereiten, dessen er bedarf, um nicht bei der erstbesten Abspeisung im politischen Alltagskampf wieder zu verschwinden.“(https://www.telepolis.de/features/Sahra-Wagenknecht-Von-links-bis-heute-7535727.html?seite=3).

 Was ist aber mit degrowth, transition, commons, Gemeinwohlökonomie, Kreislaufwirtschaft, Solidarische Ökonomie, Solidarische Landwirtschaft, Deep Green Resistance, Ökosozialismus, buen vivir, also mit Konzepten, die weit über diese Bipolarität hinausgehen? Wie wollen die Neugründer den Untergang des US-Imperiums nutzen, wie der amerikanische Ökonom Michael Hudson gefragt hat? Wie wollen sie eine multipolare Welt erreichen und wie wollen sie die unterstützen, die dafür in der nichtwestlichen Welt kämpfen? Zu einer solchen Unterstützung gehört mindestens der sofortige Austritt aus der NATO, die Unterstützung der BRICS-Staaten, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und die Beseitigung der westlichen Vorherrschaft und der transnationalen Konzerne bei den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen wie IWF und Weltbank. Dazu gehört aber auch die Umformung der EU von einem transatlantischen konzernhörigen Bürokratiemonster in eine wirklich demokratisch gesteuerte Union selbständiger Staaten, die sich auf europäische, also überstaatliche nichtmilitärische Politikfelder fokussiert - oder der Austritt aus der EU, wenn das nicht möglich ist. Das Eintreten für mehr soziale Gerechtigkeit und für eine wirksame Friedenspolitik innerhalb der gegebenen imperialen Machtverhältnisse genügt nicht und bleibt wirkungslos, wie das Beispiel von SPD, Grünen und Linke zeigt.

Wie wollen die Neugründer vor allem verhindern, daß die neu gegründete Partei über kurz oder lang doch wieder auf das imperiale NATO-gängige Maß zurechtgestutzt wird, wie es auch mit den Grünen und der Partei Die Linke passierte? Das ist nur erreichbar, wenn man der Elitendemokratie ein gehöriges Maß an Volkssouveränität verpasst: imperatives Mandat von unten statt von oben, jederzeitige Abwählbarkeit der Abgeordneten, Volks- und Bürgerentscheide auf allen Ebenen, wichtige Entscheidungen etwa über Krieg und Frieden nur über Volksentscheide, Ersetzung der Eliteneinrichtung Bundesverfassungsgericht durch Volksentscheide. Nur über diesen Umweg über die bürgerliche Demokratie läßt sich die Oligarchisierung der Partei verhindern. Parteiinterne Regelungen haben sich in der Vergangenheit bei SPD, Grünen und Linke als unwirksam erwiesen. Man muß die handelnden Personen leicht loswerden bzw. existentiell unter Druck setzen können. Solange diese und andere Regelungen zur Herstellung von mehr Volkssouveränität nicht verwirklicht sind, verbietet sich die Teilnahme an Regierungen überhaupt und eine Regierungsübernahme solange, wie man keine verfassungsändernde Mehrheit erreicht.

Eine Partei, die sich mit diesen Fragen, schon vor ihrer Gründung, nicht beschäftigt, ist sinnlos und überflüssig; denn sozialdemokratisch gesinnte und erfolglose Parteigründungen hatten wir schon genug. Und eine Zeit, in der 700 Jahre westliche Vorherrschaft, Ausbeutung, Erpressung, Sklaverei, Unterdrückung, Raub, Mord und Völkermord zuende gehen könnten, erfordert mehr als den Rückgriff auf Konzepte aus fernen, längst vergang’nen Zeiten. Eine solche Partei wird nur wieder die endgültige Abkehr der Menschen vom heutigen kapitalistischen System jahrelang blockieren, ohne ihre Hoffnungen auch nur ansatzweise erfüllen zu können. Was es wirklich braucht, ist eine Partei oder politische Kraft, die kontinuierlich und diszipliniert diese Fragen abarbeitet und sich als dauerhaftes Kommunikationszentrum einer kulturellen Evolution anbietet, die über die weltzerstörende Industriezivilisation hinausweist.

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