Dienstag, 19. Dezember 2023

Gaza und Auschwitz


 

Die Frage nach der Vergleichbarkeit des Geschehens in Gaza mit Auschwitz hat die israelische Politik selbst aufgeworfen. Das geschah mit dem Auftritt des israelischen Botschafters Gilad Erdan am 31.10.2023 im UN-Sicherheitsrat, bei dem er einen nachgebildeten Judenstern trug und die Attacke der Hamas auf israelische Soldaten und Zivilisten am 7.10.2023 mit dem nationalsozialistischen Holocaust verglich. Heute, fast drei Monate nach diesem Überfall, bei dem 1200 Menschen ermordet wurden, fällt sein Vergleich schon wegen der Größenordnungen auf ihn und Israel selbst zurück; denn inzwischen haben die israelischen Streitkräfte im Gazastreifen an die 19.000 Menschen umgebracht, darunter vor allem Frauen und Kinder.

Diese Mordopfer des israelischen Krieges gegen das palästinensische Volk sind keine Kollateralschäden, wie es Israels Politiker gerne darstellen, sie sind Opfer einer zweiten Nakba, mit der die Palästinenser aus Gaza und dem Westjordanland systematisch vertrieben oder ermordet werden sollen. Man muß nach allem, was über die Aktion der Hamas inzwischen bekannt geworden ist, sogar davon ausgehen, daß sie von Israels Politikern bewußt inkauf genommen wurde, um diese Endlösung des „Palästinaproblems“ begründen zu können. Diese angestrebte Endlösung betrifft in Gaza etwa 2,3 und im Westjordanland etwa 3 Millionen Menschen.

„Wie Pannwitz mit dem Schreiben fertig ist, hebt er die Augen und sieht mich an. Zwischen Menschen hat es einen solchen Blick nie gegeben. … der wie durch die Glaswand eines Aquariums zwischen zwei Lebewesen getauscht wurde, die verschiedene Elemente bewohnen … Der jene blauen Augen und gepflegten Hände beherrschende Verstand sprach: ‚Dieses Dingsda vor mir, gehört einer Spezies an, die auszurotten selbstverständlich zweckmäßig ist. In diesem besonderen Fall gilt es festzustellen, ob nicht ein verwertbarer Faktor in ihm vorhanden ist.“
Primo Levi hat diese Szene festgehalten in seinem autobiographischen Bericht über Auschwitz mit dem Titel „Ist das ein Mensch? Und die schreckliche Antwort auf diese Titelfrage gibt das Buch selbst: Mensch zu sein, in Würde und Freiheit, das nahmen im KZ allein die Täter für sich in Anspruch, die Schergen der SS, die Aufseher, die Ärzte und alle ihre Helfer. Die Opfer jedoch galten nicht als Menschen, sondern als niedere Lebewesen, die man auslöschen kann, oder als Arbeitstiere hält, solange es zweckmäßig scheint (
Aus <https://www.deutschlandfunk.de/denken-nach-auschwitz-100.html>).

Es ist unfassbar, wie sehr diese Sätze mit einem Bericht der jungen Welt über den israelischen Siedlerkolonialismus im Westjordanland vergleichbar sind: „Israels industrielle Reservearmee“ (hinter Bezahlschranke). Daraus nur ein Zitat, am Schluß des Berichtes: „Sinnbildlich zeigt sich hier ein zentraler Widerspruch des Siedlungskolonialismus: Indigene Arbeitskraft soll im Siedlerstaat, anders als im herkömmlichen Kolonialismus, nicht vor allem ausgebeutet, sondern beseitigt werden. Lorenzo Veracini zeigt in seiner Einführung in den Siedlerkolonialismus »Settler Colonialism. A Theoretical Overview« (2010), dass Ausbeutung und Beseitigen der indigenen Bevölkerung faktisch jedoch immer wieder eng miteinander verwoben sind. Er fasst die Position der Siedlerkolonisatoren zusammen in der Forderung: »Du, arbeite für mich, während wir darauf warten, dass du verschwindest.« Und so sind es palästinensische Arbeiter, von denen dieser Checkpoint am meisten genutzt wird, doch alles am Checkpoint ist darauf ausgerichtet, ihnen den Durchgang so beschwerlich wie möglich zu gestalten. Und ihnen Morgen für Morgen ihren Platz zuzuweisen: ganz unten in der Hierarchie.“

Der israelische Journalist Gideon Levy bringt auf den Punkt, worauf dieser unmenschliche Umgang mit „anderen“ Menschen in Israel beruht. Es erinnert sehr an die oben genannten „Schergen der SS, die Aufseher, die Ärzte und alle ihre Helfer“: „Der erste sehr tief verwurzelte Wert   – und seien wir ehrlich   – ist der Wert, dass "wir das auserwählte Volk sind". Säkulare und Religiöse werden dies gleichermassen behaupten. Und selbst wenn sie es nicht zugeben, fühlen sie so. Und die Umsetzung ist sehr einfach: Wenn wir das auserwählte Volk sind, wer seid ihr, dass ihr uns sagt, was wir tun sollen? Wer seid ihr? Wer ist die internationale Gemeinschaft, die Israel sagt, was es zu tun hat? Das Völkerrecht? Eine wunderbare Sache. Es gilt nicht für uns. Es gilt für jeden anderen Ort auf der Erde – nicht für Israel, denn wir sind das auserwählte Volk. Verstehen Sie das nicht?“( Aus <https://seniora.org/wunsch-nach-frieden/der-wunsch-nach-frieden/gideon-levy-der-zionistische-tango-ein-schritt-nach-links-ein-schritt-nach-rechts>).

Was ist der Glaube, das auserwählte Volk zu sein, anderes als der Glaube der Nazis an das deutsche Herrenmenschentum? Die Attitüde, sich respektive „die Juden“ bei jeder noch so kleinen Kritik sofort als „die“ Opfer der Weltgeschichte darzustellen, ist nur der Versuch, jegliche Kritik mit dem Vorwurf des Antijudaismus oder Antisemitismus zu ersticken, ohne darauf inhaltlich eingehen zu müssen. Allerdings müssen die, die so daherkommen, sich dann fragen lassen: Seid ihr denn nicht der Meinung, daß Juden auch Menschen sind wie du und ich? Für mich sind in Auschwitz nicht Juden, sondern Menschen umgebracht worden, vor allem solche jüdischen Glaubens. Von Nazis verfolgt und umgebracht worden zu sein, rechtfertigt nicht, selbst faschistisch, rassistisch und kolonialistisch zu handeln.

 

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