Donnerstag, 23. September 2021

Die absurde Welt des homo industrialis - Die Arbeit

 In seinem Buch Staatsfeinde berichtet Pierre Clastre von indigenen Völkern in Südamerika, die im Durchschnitt zwei Stunden täglich tätig sind, um gut leben zu können. Der homo industrialis bräuchte heute geschätzt etwa genausoviele Arbeitsstunden, um dasselbe erreichen zu können. Der Rest von 6 Arbeitsstunden auf einen 8-Stunden-Arbeitstag dient im wesentlichen der Profitproduktion für den sogenannten "Arbeitgeber", also den Besitzer der jeweiligen Produktionsmittel. "Tätig" schreibe ich deshalb, weil bei den Indigenen das zu Tuende in den Alltag integriert ist, sie also keinen Unterschied zwischen Kochen, Kindererziehung, Sammeln und Jagen machen. Sie kennen keinen Unterschied zwischen dem "Reich des Notwendigen" und dem "Reich der Freiheit". Sie sind frei zu tun, was getan werden muß, wann und wie sie wollen. 

 

Dieser Satz trifft auch noch weitgehend auf die freien Bauern zu, die vor dem Übergang in den Kapitalismus ihre Bauernhöfe bewirtschafteten. Mit dem Übergang zum frühen Kapitalismus kam dann ab dem 14. Jahrhundert das "Bauernlegen", also die Enteignung der freien Bauern durch Großgrundbesitzer, deren Pächter sie dann werden mußten. Dies war ebenso Diebstahl und Raub wie die sogenannte Einhegung: "In England begannen diese Enclosures in Form von Einschränkungen traditioneller Landnutzungsrechte bereits im 14. Jahrhundert. Sie erforderten wegen ihrer zunehmenden Eingriffe in das auf Rechten und Pflichten von Landlord und Pächtern beruhende Feudalsystem (sowie wegen der davon berührten Finanzinteressen der Krone) für jedes einzelne Anwesen einen separaten Parlamentsbeschluss. Gegen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts wurden dann die Landlords vom Parlament allgemein zur Durchführung von Enclosures ermächtigt. Man nannte das später eine „Revolution der Reichen gegen die Armen“, weil aus vielen Kleinbetrieben wenige landwirtschaftliche Großbetriebe entstanden. Die bisherigen Landpächter wurden dabei mit Gewalt vertrieben und bildeten dann in den stark anwachsenden Städten die Massenarbeitskräfte der beginnenden industriellen Revolution"(Wikipedia). Das gleiche geschah in ganz Mitteleuropa.

 

Die ihrer Produktionsmittel beraubten Menschen mußten nicht nur mit Gewalt von ihrer selbstorganisierten Arbeit "freigesetzt" werden, sie wurden anfangs oft auch mit Gewalt in die neuen Industriefabriken geprügelt. Damit begann die Dressur des  homo industrialis, der dies alles heute nicht mehr weiß und die kapitalistische Arbeitsweise endlich so "gefressen" hat, daß ihm jede Alternative weltfremd vorkommt. In Wirklichkeit lebt er in der absurdesten aller möglichen Welten: "Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch [dadurch], daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren sucht, während es andrerseits die Arbeitszeit als einzigs Maß und Quelle des Reichtums setzt. Es vermindert die Arbeitszeit daher in der Form der notwendigen, um sie zu vermehren in der Form der überflüssigen; setzt daher die überflüssige in wachsendem Maß als Bedingung - question de vie et de mort - für die notwendige" (Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, in MEW, Band 42, Berlin: Dietz Verlag, 1983, 593.)

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