Die westdeutsche Demokratie ist nicht auf hehren Idealen wie
Einigkeit und Recht und Freiheit oder den sogenannten westlichen Werten
errichtet worden, die dem Wirklichkeitstest sowieso nicht standhalten. Das
Fundament waren die vier großen amerikanischen C: cigarettes, chocolate,
chewing gum und cola. Auf die darbenden Deutschen wirkte die von den
amerikanischen Soldaten vermittelte Sicht auf den materiellen Lebensstil der
US-Amerikaner faszinierend. Von der amerikanischen „democracy“ nahmen die
unbedarften Deutschen dann an, daß sie halt dazugehört. Das machte sie beliebt.
Diese Orientierung am Materiellen ist in Ordnung; denn, wie schon Bertold
Brecht sagte, „zuerst kommt das Fressen, dann die Moral“.
Es sollte sich niemand wundern, wenn heute das Ansehen der
„democracy“ bei denen leidet, die von den Profiteuren des Status Quo gerne als
die „Abgehängten“ bezeichnet werden. Allein die Wortwahl sagt etwas aus über
die Verachtung, mit der die, denen es tatsächlich gut geht in diesem Land,
denen begegnen, deren Einkommen in den letzten Jahrzehnten nicht gestiegen, sondern
gesunken ist. Sie erfahren täglich, daß die bejubelte Senkung der
Arbeitslosenzahlen vor allem darauf zurückzuführen ist, daß gut bezahlte
Vollzeitarbeitsplätze in miserabel bezahlte Teilzeit- oder Miniarbeitsplätze verwandelt
wurden; denn sie brauchen jetzt zwei oder drei Jobs, um über die Runden zu
kommen oder zusätzliche Unterstützung durch Hartz IV. Und wenn sie arbeitslos
werden und Hartz IV beanspruchen müssen, erfahren sie zu oft Willkür,
Diskriminierung und auch wieder Verachtung. Die jetzt angekündigte Erhöhung der
Hartz-IV-Sätze um 9 € ist blanker Zynismus.
Wenn dann die Kanzlerin verkündet, es ginge Deutschland so
gut wie nie zuvor, fühlen sich die Nichtprivilegierten zu Recht ausgeschlossen.
Über dem Eintrittsportal zum 60-Prozent-Paradies der Kanzlerin steht
unausgesprochen, was sie wirklich meint: Ihr, die ihr nicht dazugehört, haltet
Euch fern. Das politische Credo der Kanzlerin ist nicht Solidarität, sondern
neoliberal fundierte Spaltung. Das gilt auch für ihre Regierung. Der Finanzminister
achtet nicht auf das Wohl aller. Er ist oberster Wächter der Geldkanäle, in
denen alles Geld dieser Republik möglichst ungehindert und ungeschmälert in die
virtuellen Geldspeicher der Reichen und Superreichen geleitet wird.
Die Spaltung im Inneren setzt die Kanzlerin im Außen fort.
Die Europäische Union ist inzwischen in ein Kerneuropa geteilt, zu dem nur vier
oder fünf Länder gehören, deren wirtschaftspolitische Daten gut sind. Der Rest
ist in die Peripherie abgedrängt worden und leidet unter der von der deutschen
Kanzlerin und ihrem Finanzminister verordneten Sparpolitik. Europa ist unter
deutscher Führung erbarmungslos gegen die Armen und Ausgebeuteten der
außereuropäischen Welt abgeschottet worden. Der relative Reichtum Europas soll
nur denen zukommen, die zu den 60 Prozent oder weniger Privilegierten zählen.
Und über allem steht unausgesprochen das altbekannte Motto: Deutschland,
Deutschland über alles. Die Politik dieser Kanzlerin ist asozial. Wer bereit
ist, mit ihr zu koalieren, ist es auch. Und sowas soll ich wählen? Niemals.
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