Freitag, 11. November 2016

Naive Farbenlehre


Das Anpreisen von Rot-Rot-Grün als Waffe gegen den wachsenden Wähleranteil von Rechten und Faschisten hat mal wieder Hochkonjunktur. Doch die Vorstellung, man könne durch die Zusammenarbeit der als links verorteten Parteien SPD, LINKE und GRÜNE wirksam die weitere Rechtswende der Wähler*innen verhindern, ist naiv. Und sie könnte sich als verhängnisvolle Fehlkalkulation erweisen.

Wer schon die politische Orientierung von Parteien mithilfe von Farben deuten will, sollte wenigstens die Farben wählen, die der realen Politik dieser Parteien entsprechen. Dann ist die Farbe der SPD nicht rot, sondern ein mehr und mehr  verblassendes Zartrosa. Für den Lafontaine/Wagenknecht-Flügel der Linken würde ich ein echtes Rot wählen, für die Reformer dieser Partei um Bartsch und Ramelow ein zartes Hellrot. Die heutigen Grünen kennzeichnet am besten ein verwaschenes Lindgrün. Ein rot-rot-grünes Bündnis ist also schon farblich gar nicht möglich. Und die derzeitigen Umfrageergebnisse machen diese Nichtalternative sowieso zur Illusion.

Wer sich intelligenterweise nicht mit inhaltsleeren Worthülsen wie R2G begnügt, sondern zur Beurteilung von Parteien deren reale Politik berücksichtigt, tappt nicht in die naive Farbfalle. Die SPD unterstützt in der großen Koalition CETA, TTIP und TISA. Das sind alles sogenannte Freihandelsabkommen, die dazu gedacht sind, die demokratische Willensbildung in den beteiligten Staaten zugunsten der Profitinteressen großer Konzerne auszuhebeln. Mit Freihandel haben die nichts zu tun, den gibt es schon ohne sie. Sie stützt die Kriegs- und Interventionspolitik der Bundesregierung, der EU, der NATO bzw. der USA in Syrien, Irak, Afghanistan, Jemen, Afrika und sonst wo. Als Mitglied der Bundesregierung lehnte sie auf Geheiß der USA in der UNO die Aufnahme von Verhandlungen über ein Verbot der Atombewaffnung ab.

"Assad und Putin bomben Syrien zurück in die Steinzeit", sagte im Oktober Cem Özdemir von den Grünen. Dabei „vergisst“ er zu erwähnen, dass Russland erst 2015 in Syrien eingegriffen hat. Gerufen hat in Assad, der bei aller berechtigten Kritik immer noch der völkerrechtlich legitime Präsident Syriens ist. USA, Frankreich und Großbritannien bomben seit 2011 Syrien zurück in die Steinzeit. Sie wurden nicht gerufen und verstoßen damit jeden Tag gegen das Völkerrecht. Ähnliche russlandphobe Kalte-Kriegs-Sottisen haben auch andere Spitzengrüne wie Marie-Luise Beck und Katrin Göring-Eckardt drauf. Die Letztere forderte vor kurzem, in Syrien eine Flugverbotszone einzurichten. Das hätte, wenn verwirklicht, leicht zu einem Krieg der Atommächte USA gegen Russland führen können.  Mit diesem irren Haufen kann man keine Friedenspolitik machen, also auch nicht koalieren.
Der Wahlsieg von Donald Trump macht das gern vorgebrachte Argument vom „kleineren Übel“ endgültig zum verbrannten Märchen. Das Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel, bei dem mal die eher rechten, dann mal wieder die eher linksliberalen Parteien des politischen Establishments in verschiedenen Koalitionen die Regierungsmacht übernehmen und die gleiche Politik unterschiedlich eingefärbt verkaufen, zieht nicht mehr. Ein wachsender Bevölkerungsanteil macht nicht mehr mit und verabschiedet sich vom Establishment.
Das ist auch gut so. Die verlogene neoliberale Weiter-so-Politik, bei der seit Jahrzehnten nur die Ein-Prozent-Klasse der Reichen und Superreichen gewinnt und alle anderen verlieren, muss endlich als Verliererpolitik markiert werden. Das Traurige dabei ist, dass Rechte markieren. Aber wer glaubt, eine gegen alle Erwartung 2017 zustande kommende Koalition von SPD mit GRÜNEN und der LINKEN würde das ändern, irrt sich gewaltig. Die von SPD und GRÜNEN erzwungene neoliberale Politik einer solchen Koalition könnte leicht dazu führen, daß sie 2021 wiederum von einer schwarz-braunen Koalition (UNION + AFD), vielleicht mit Beteiligung der FDP, abgelöst würde. Und das wäre dann der Super-GAU. 

Es ist besser, die LINKE hält sich da raus und bleibt unversehrt von neoliberalen Schweinereien. Sie kann das, weil bei einem stabilen Umfrageergebnis der AFD von zur Zeit etwa 12 % die Angst vor ihr so rational ist wie die Angst des Elefanten vor der Maus. Die Leier vom „Zusammenrücken der Demokraten“  und von der „Einheitsfront gegen Rechts“ basieren auf alten Reflexen, die ohne Nachdenken daher geplappert werden. Wer strategisch denkt, berücksichtigt nicht nur den nächsten, sondern mindestens auch den übernächsten Zug. Die LINKE wird als letzte noch verbliebene linke Alternative dringend gebraucht, vielleicht schon 2021. Derweil  muss es dem progressiven Lager gelingen, eine wirkliche und glaubwürdige Alternative zu Kapitalismus und Neoliberalismus zu entwickeln. Gelingt es – weltweit - nicht, geht es abwärts mit dieser Zivilisation.

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