Freitag, 19. Juli 2024

Es ging nie um Frieden

 


„In den 1980er-Jahren sind sehr viele Bürger in Westdeutschland und in der DDR auf die Straße gegangen – sie protestierten gegen den damaligen unerbittlichen wie sinnlosen Aufrüstungswahn. Es war umsonst.“ Mit diesen beiden wahren Sätzen beginnt Frank Blenz seinen Artikel in den Nachdenkseiten vom 18.07.2024 über den mangelnden Widerstand gegen die Kriegspolitik der politischen Klasse des US/NATO-Imperiums, zu der auch die deutsche gehört. Von mangelndem Widerstand konnte man bei den von Millionen besuchten Demonstrationen und anderen politischen Aktionen in Bonn, Mutlangen, Stuttgart, Berlin und anderswo nicht reden, die anfangs der 1980er Jahre gegen die NATO-Nachrüstung mit atomar bestückten Pershing-Raketen und Marschflugkörpern veranstaltet wurden. Im Herbst 1983 wurden sie dennoch aufgestellt, vorzugsweise in der Bundesrepublik Deutschland.

Allerdings wurden sie 1987 wieder abgezogen, nachdem die „Grossen Jungs“, USA und Sowjetunion, den INF-Vertrag abgeschlossen hatten. Sie hatten sich schon vorher, zusammen mit ihren Vasallenstaaten, im Jahr 1973 auf die „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“(KSZE) geeinigt. Die wurde im Jahr 1995 in die „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit“ (OSZE) überführt. Im Jahr 2012 erhielt die EU für all die Bemühungen um eine stabile europäische Friedensordnung den Friedensnobelpreis. In Europa schien ein Jahrtausend des Friedens angebrochen zu sein. Tatsächlich ging es nach vielen Jahren der oft existenzbedrohlichen Spannungen um die Etablierung eines Modus Vivendi, der diese Spannungen für beide Seiten weniger gefährlich machte. Dafür stehen die Geschehnisse in Berlin 1953, in Ungarn 1956, in Kuba 1961 und in der Tschechoslowakei 1968. Es ging nie um Frieden, sondern um einen Waffenstillstand. Diesen Zusammenhang erkennt heute, wer zur Analyse noch fähig ist.

Dieser Modus Vivendi verlor für das westliche Imperium der Apokalypse seinen Sinn noch in den 1990er Jahren, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Das plötzlich frei zugängliche Osteuropa lockte mit seinen gut ausgebildeten Bevölkerungen, denen man für ihre Arbeit nicht so viel bezahlen musste wie für die westlichen Lohnarbeiter, seinen natürlichen Ressourcen und einem weithin ungestillten Markt für die Glasperlenprodukte des Westens. Für die Konzerne des Imperiums war Osteuropa das neue Eldorado. Die wirtschaftliche Vereinnahmung der osteuropäischen Staaten wurde sofort angegangen, die Erweiterung der NATO nach Osteuropa zeitverzögert. 1999 traten Polen, Tschechien und Ungarn der NATO bei. 2004 folgten Rumänien, Bulgarien, Slowenien, die Slowakei, Estland, Lettland und Litauen, 2009 Albanien und Kroatien. Dies geschah, obwohl Russland heftig dagegen protestierte und sich dabei auf die Vereinbarungen berief, die Anfang der 1990er Jahre die deutsche Wiedervereinigung erst ermöglicht hatten. Auch im Westen sprachen sich Kenner der west-östlichen Beziehungen gegen diese russlandfeindliche Erweiterung in den osteuropäischen Raum aus. Auch die Sprache und die Art und Weise, mit der man Russland gegenübertrat, änderten sich rapide, spätestens nachdem Russland ab Anfang der 2000er Jahr wieder zu politischer und wirtschaftlicher Stärke und Souveränität zurückfand und die imperialistischen Konzerne vom Feld der Ausplünderung verwies. Von jetzt auf sofort wurde Russland wieder zum Feind, propagandistisch geschürte Russophobie wurde wieder en vogue. Die Politclowns änderten über Nacht ihre Sprache von „friedlich“ auf „kriegstüchtig“. Sie sind halt nur die Hofnarren des Imperiums.

Die imperialistische Expansion des US-geführten Westens nach Osteuropa war so lange nicht möglich, wie die Sowjetunion das nicht zuließ, die vielbeschworene Abschreckung wirkte nicht von West Richtung Ost, sondern vom Osten aus Richtung Westen. Sieht man die Geschehnisse so, gibt es keine Hoffnung mehr auf eine neuerliche, rein europäische Friedensordnung; denn auch Osteuropa und Russland werden heute als Spielfeld oder mögliches Spielfeld des unersättlich nach Expansion strebenden Imperiums der Apokalypse betrachtet. Wer im Wege steht und/oder sich der Ausbeutung verweigert, wird beiseite geräumt oder gleich ganz zerstört. Das Imperium der Apokalypse kennt kein Pardon und keine Moral. In der Ukraine ist gerade zu besichtigen, wie die „kriegstüchtige“ Bevölkerung eines ganzen Landes auf den Schlachtfeldern der imperialistischen Expansionsgelüste verhackstückt wird. In Gaza wird ein ganzes Volk ermordet.

Frieden kann es erst geben, wenn alle Imperien, vorrangig aber das westliche Imperium der Apokalypse, zerstört worden sind. Es muß also realistischerweise nicht um die Gründung einer neuen europäischen Friedensbewegung gehen, sondern um einen globalen Antiimperialismus und um die Verwirklichung einer multipolaren Weltordnung, in der die Staaten dieses Planeten gleichberechtigt miteinander verkehren, mit dem Völkerrecht wieder das „regelbasierte“ Willkürrecht der westlichen Weltdiktatur ersetzen und niemandem mehr erlauben, sich zum Imperium zu erheben. Vor allem geht es jetzt darum, die Staaten des Nichtwestens zu unterstützen, die das bereits begriffen haben und sich nicht mehr dem Imperium der Apokalypse unterwerfen. Das sollten wir auch tun, indem wir fordern:

Die Waffen nieder

Raus aus der NATO – kein EU-Militärbündnis

Keine neuen Raketen und Marschflugkörper in Europa

Keine Waffen liefern wohin auch immer

Das Völkerrecht stärken

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