Europa retten,
indem man den stärksten wirtschaftlichen Akteur rausschmeißt? Eigentlich wird es
eher als sinnvoll angesehen, die Schwächsten zum Verlassen der Eurozone zu drängen,
zurzeit mal wieder ganz dringend Griechenland. Als nächstes kämen dann
Portugal, Irland, Spanien und Italien dran. Aber schon die Nennung dieser Reihe
führt zu der Frage, was von Europa noch übrig bleibt, wenn diese europäischen
Kernländer die Eurozone verlassen müssen. Und das macht wiederum die Frage
interessant, ob es nicht sinnvoller wäre, nur den einen, wenn auch stärksten
Akteur zum Verlassen der Eurozone zu drängen; denn es ist vor allem
Deutschland, das die Krise der EU nicht lindert, sondern anheizt.
Die gegenwärtige Lage kann man nur als trostlos bezeichnen.
In Griechenland ist nach nur einem Jahr Spardiktat eingetreten, wovor viele
politische und wirtschaftswissenschaftliche Akteure von Anfang an warnten. Die
griechische Volkswirtschaft wurde noch tiefer in die Rezession gestossen, die
Insolvenzen nehmen zu, die griechischen Unternehmen fallen im globalen
Wettbewerb noch weiter zurück, die private und staatliche Schuldenlast wird
nicht weniger, sondern mehr. Arbeitslos sind fast 1 Million Griechen, was einer
Arbeitslosigkeitsquote von 20 % entspricht, die Jugendarbeitslosigkeit liegt
bei über 43 % . Die griechische Bevölkerung verarmt. In den anderen Krisenländern
sieht es nicht viel besser aus.
In Griechenland und Italien regieren nicht gewählte
Technokraten. In Griechenland wurden sie eingesetzt, als der sozialistische
Regierungschef versuchte, den griechischen Souverän zu befragen, wie es
weitergehen soll - zu viel Demokratie für Merkels „marktkonforme Demokratie“.
Europa schaut untätig zu, wie in Ungarn eine totalitäre Regierung
Volkswirtschaft und Demokratie ruiniert. Die europäische Wirtschafts- und
Finanzpolitik wird von den Regierungen Deutschlands und, in deutscher
Gefolgschaft, Frankreichs diktiert, das europäische Parlament wurde zum
Zuschauer degradiert. Mit Ausnahme Grossbritanniens haben die Parlamente der
EU-Länder ihre wirtschaftliche Souveränität mehr oder weniger eingebüß, weil
ihre Regierungen eine von Deutschland verordnete Schuldenbremse und
verschiedene andere Massnahmen akzeptieren, ohne dafür auf europäischer Ebene
grössere parlamentarische Mitwirkungsmöglichkeiten erreicht zu haben.
„Die deutsche Exportindustrie hat im vergangenen Jahr“,
berichtet die Süddeutsche Zeitung am 9.2.2012, „erstmals die Umsatzmarke von
einer Billion Euro geknackt.“ Das liegt nicht nur an der marktgerechten
exzellenten Qualität deutscher Produkte. In Deutschland sanken, anders als in
den restlichen EU-Staaten, in den letzten Jahren die Lohnstückkosten, weil sich
die schwachen, sozialpartnerschaftlich orientierten Gewerkschaften bei
Lohnforderungen zurückhielten oder nicht durchsetzen konnten. Die rot-grüne
Agenda 2010 verschaffte den Unternehmen zusätzliche Wettbewerbsvorteile,
ebenfalls auf Kosten der deutschen Lohnabhängigen. Mit der Einführung des Euro
wurden die unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen in den EU-Ländern
zementiert, der Ausgleich der Handelsungleichheiten über Währungsanpassungen
war im Euro-Raum fortan versperrt. Die Starken, allen voran Deutschland, wurden
immer stärker, die Schwachen immer schwächer.
Die schwarzgelbe deutsche Regierung tut alles, um diese
zentrifugal wirkenden Dynamiken aufrecht zu erhalten. Sie setzt ausserdem
einseitig auf eine Politik der Schuldenverringerung, die Einnahmen der Reichen,
Superreichen, Zocker und Finanzjongleure lässt sie unangetastet, belastet mit
den Schuldenkosten werden nur die sozial Schwachen und die Lohnabhängigen.
Damit erhöht sie die sozialen Spannungen und macht Europa zum Armenhaus.
Die grosse Zahl der anderen EU-Länder, einschliesslich
Frankreich und Italien, wäre dagegen bereit, auf eine derart rigide Austeritätspolitik
zu verzichten, den Abbau der staatlichen Schulden so zu strecken, dass dabei
die Volkswirtschaften nicht ruiniert werden. Sie werden fast nur von
Deutschland davon abgehalten, die Europäische Zentralbank zur Abwehr der
Spekulanten einzusetzen, die nach wie vor versuchen, mit spekulativen Angriffen
auf einzelne Länder die Zinsen und damit ihre eigenen Profite in die Höhe zu
treiben. Aber nur, wenn man die Finanzmärkte aus dem Spiel drängt, indem man
die Spekulationen mit den Staatsanleihen durch den Einsatz der EZB unmöglich
macht, gewinnt man Spielraum für weitere notwendige Massnahmen: Einführung
einer Finanztransaktionssteuer, Verbot schädlicher Finanzprodukte wie CDS,
ungedeckte Leerverkäufe, Hedgefonds und die Neustrukturierung des
Bankensektors, damit Grossbanken nie mehr die Staaten erpressen können.
Insgesamt muss es darum gehen, die chaotische Macht der Finanzmärkte zu
brechen.
Bleibt der Euro erhalten und schert nur Deutschland aus,
wird auch nur Deutschland gezwungen sein, seine neu-alte Währung anzupassen.
Eine für diesen Fall von vielen Volkswirtschaftlern prognostizierte Erhöhung
des Wertes einer deutschen Währung um etwa 40 % würde die Wettbewerbssituation
der verbleibenden Euroländer sofort verbessern. Der deutsche Importdruck würde
verringert, ihre eigenen Unternehmen würden nicht nur im eigenen Land, sondern
auch auf den Exportmärkten wieder wettbewerbsfähiger. Auch die
Schuldenproblematik würde dadurch viel von ihrem Druck verlieren. Die
verbleibenden Euroländer würden alles in allem gewinnen, Deutschland verlieren.
Natürlich wäre es sehr viel besser, wenn sich Deutschland auf die oben
skizzierte andere Politik einlassen würde. Ansonsten gilt: Wer die Singvögel
retten will, muss den Jungkuckuck aus dem Nest werfen.
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